Rechtsanwältin Dr. Birgit Stede |
Es mag von Vorteil sein, die Kindheit und Jugend in den 60er / 70er Jahren verbracht zu haben. Klar. Die Eltern waren oftmals autoritär. Das war wohl generationenbedingt. Man ging nicht im Rhein baden. Der war eine einzige Kloake. Doch hatte man auch viele Freiheiten. Mit Sicherheit mehr als die Kinder heutzutage. Nachmittags sauste man mit dem Fahrrad umher oder kletterte auf Bäume. Mangels Handy wunderbar unkontrolliert. Und abgesehen davon, dass man den Müll rausbringen musste, war Müll kein Problem.
Rückblick
Angesichts dessen, dass die Bundesregierung zurzeit mehr mit sich selbst als mit sonst etwas beschäftigt ist, wollen wir die Gelegenheit nutzen, einen kleinen Rückblick auf die umwelt- und abfallrechtliche Entwicklung zu wagen.
Verbesserungen der Umweltstandards
Tatsächlich haben sich mit der Entwicklung des Umweltrechts und der technischen Möglichkeiten gravierende Verbesserungen der Umweltsituation ergeben. Der Rhein ist fast wieder sauber. Andere Flüsse übrigens auch. Und im Ruhrgebiet werden frischgestrichene Häuser nicht mehr so schnell dunkelgrau bis schwarz wie noch vor wenigen Jahrzehnten.
Verlagerung der Umweltprobleme und neue Probleme
Aber halt: Viele Industrien, so etwa die Textilindustrie und zunehmend z.B. auch die Pharmaindustrie, sind nach Asien abgewandert. So dienen jedenfalls unsere Flüsse nicht mehr als Abwasserkanal.
Und wir haben heute neue, in den 60er und 70er Jahren niemals vorhergesehene Probleme: Nicht nur, dass die Kinder von klein auf lernen müssen, wie man Müll sorgfältig trennt. Nein. Heute haben wir z.B. die Feinstaubbelastung, die für einen hohen Anteil an Lungen- und Herz-Kreislaufkrankheiten verantwortlich gemacht wird. In Hafenstädten ist diese Belastung wegen der Fracht- und Kreuzfahrtschifffahrt – so auch in der eigentlich wundervollen Stadt Venedig – besonders hoch. Denn die Schiffe fahren oftmals mit Schweröl, Abgasreinigung und Partikelfilter sind nach Einschätzung von Umweltverbänden eher die Ausnahme.
Wir haben Mikroplastik.
Und auch anlässlich der Berichte über den Hambacher Forst kann man ins Grübeln kommen. Alle reden vom Klimawandel. Alle reden vom Ausstieg aus den fossilen Energien. Aber so lange es Braunkohle gibt, soll die natürlich verfeuert werden. Und man importiert fleißig Steinkohle, die in gigantischen Abbaugebieten in Kolumbien gewonnen wird.
… denn sie wissen nicht, was sie tun
Mit dem legendären Filmtitel „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ hat das Ganze jedoch nichts zu tun. Denn die, die diese Geschäfte betreiben und weiter betreiben möchten, wissen, was sie tun. Die Konsequenzen haben andere zu tragen. Sei es beim globalisierten Handel mit all den Containerschiffen. Sei es der Massentourismus, der sich wie auch immer mit bis zu 6.000 Mann hoch auf einem Kreuzfahrtschiff verlustiert. Sei es die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch die Verlagerung der Produktion in Entwicklungs- und Schwellenländern. Sei es die Ausschöpfung der fossilen Energien, bis diese irgendwann tatsächlich erschöpft sind.
Fachspezialisten
Nichtsdestotrotz: diejenigen, die aus der Generation der 60er / 70er Jahre und auch aus früheren oder späteren Generationen stammen, sind heutzutage Spezialisten. Nicht nur Spezialisten für neue Technologien wie etwa in der IT-Branche. Nein, auch die, die sich mit Umwelt und Entsorgung beschäftigen, sind Spezialisten. Extra-Spezialisten. Kunststoffspezialisten. Altholzspezialisten, Verpackungsspezialisten, Verbundstoffspezialisten, Spezialisten für mineralische Abfälle, Abfallchemiker, Verbrennungsspezialisten und solche für thermische Verwertung usw. usw.
Und solche Spezialisten scheint es auch zu brauchen. Denn angesichts der Unzahl an Spezialgesetzen und -verordnungen kommt man kaum umhin, Spezialist zu sein, um die Vorgaben noch halbwegs verstehen zu können. Halbwegs. Denn selbst als Spezialist versteht man letztlich oft nur noch Bahnhof!
Unverständliche Rechtsgrundlagen …
Nehmen wir das Beispiel, wann ein Abfall als ökotoxisch und damit als gefährlich eingestuft ist. Konnte man früher anhand der Hinweise des Bundesumweltministeriums zur AVV zu den so genannten Spiegeleinträgen noch eigenständig ermitteln, ob ein Abfall als gefährlich oder als ungefährlich eingestuft ist, so ist dies selbst von einem geübten Umweltjuristen heute kaum mehr machbar. Ein Umweltchemiker muss hinzugezogen werden.
Nehmen wir das Beispiel des § 17 KrWG. Man liest diesen Paragraphen drei, vier oder fünf Mal, versteht langsam, was gemeint ist. Und man versteht, dass dieser Paragraph gespickt voll ist mit auslegungsbedürftigen Begriffen. Und diese Begriffe werden wegen der unterschiedlichen Interessenslagen selbstverständlich unterschiedlich ausgelegt. Was zu mittlerweile ca. 470 Gerichtsentscheidungen allein zu diesem § geführt hat.
Zu dieser Kategorie von Gesetzen zählt z.B. auch das VerpackungsG oder das Düngerecht, das ja immerhin auch Düngemittel betrifft, die aus Abfall gewonnen werden. Wobei auch an dieser Stelle betont sei, dass Kompost aus Bioabfällen ein hochwertiger Dünger und Bodenverbesserer ist. Ähnlich wie Klärschlamm. Hätte dieser die eigentliche, die natürliche Zusammensetzung!
… und überflüssige bzw. praxisfremde Vorgaben
Andere Gesetze und Verordnungen sind vielleicht noch verständlich, aber vollkommen überflüssig wie etwa die POP-Abfall-ÜberwachungsV. Styropor wird zu gefährlichem Abfall erklärt. Die Styroporberge wachsen und wachsen, und mit ihnen die Preise für die Entsorgung. Dann kommt diese Verordnung: Styropor gilt zwar nicht als gefährlich, muss aber getrennt erfasst werden. Außerdem bestehen Nachweispflichten. Da Styropor aber sowieso nicht als Monocharge verbrannt werden kann, wird er nach getrennter Erfassung in extra hierfür zugelassenen Anlagen wieder mit anderen Chargen vermischt. Und die gemischten Chargen kosten dann in etwa das Doppelte wie der ‚normale’ Baumischabfall.
Oder aber die neuen Vorgaben sind vollkommen praxisfremd, wie etwa die neue GewAbfV. Dazu haben wir kürzlich berichtet.
Spezialisten im behördlichen Vollzug
Neben den Spezialisten in der Wirtschaft gibt es natürlich auch die Spezialisten im behördlichen Vollzug. Und da gibt es solche und solche. Viele erkennen, dass die Rechtslage schwer zu durchschauen und oftmals kaum nachvollziehbar ist. Und so wird gemeinsam, sei es mit Abfallerzeugern und -besitzern, sei es mit Entsorgern, nach Lösungen gesucht, die möglichst rechtssicher sind und mit denen alle Seiten leben können.
Gelegentlich und leider immer wieder gibt es aber auch solche Vertreter, die meinen, die umwelt- und abfallrechtlichen Anforderungen in Gänze verstanden zu haben. Und diese Vertreter erwarten dasselbe von ihrem Gegenüber. Nur: dass sich diese Vertreter – fast notgedrungen – auch immer wieder über die Rechtsauslegung und –anwendung täuschen. Die Folge sind unausweichliche Rechtsstreitigkeiten. Doch die Behörden haben Machtbefugnisse. So können sie z.B. einen Anlagenbetrieb stilllegen, weil sie meinen, ein Abfall, der angenommen und behandelt wird, sei als gefährlich einzustufen, was aber genehmigungsrechtlich nicht zulässig ist. Auch wenn dagegen argumentiert wird und dieser Gegenargumentation letztendlich recht gegeben wird, kann die Stilllegung für den Anlagenbetreiber fatale Folgen haben. Bis hin zur Insolvenz. Denn mit der Stilllegung ist nun einmal sein Betrieb bis zur gerichtlichen Entscheidung blockiert.
Offener Dialog
Als Lösung können wir nur den offenen Dialog proklamieren, bei Bedarf unter Einschaltung der vorgesetzten Behörde. Fast so wie die kürzliche Aktion „Deutschland spricht“. Doch mit einem Unterschied: Angesichts der komplexen und kaum noch überschaubaren Rechtslage des Umwelt- und Abfallrechts sollten diese Gespräche zu wie auch immer rechtssicheren, aber jedenfalls zu umsetzbaren Lösungen führen.
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